Phänomen Landschaft

Carl Aigner | Approximatives zur neuen Malerei von Leopold Kogler

Lichte Natur

Es ist ein kleines Stück an wahrgenommener Magie – an Naturmagie…
W. H. F. Talbot

Schimärenartig, ja fast wie in einen embryonalen Zustand, treten verschiedenste botanische Objekte ins Licht der neuesten Bildwerke von Leopold Kogler. Fragil und diaphan, zwischen Erscheinen und Verschwinden, verpuppen sich pflanzliche Formen zu einem Gespinst aus Farben und Gebilden. Zauberhaft strahlen sie gleichzeitig aber auch etwas Unheimliches aus, so wie bei jener Transformation, in und mit der sich Raupen in prachtvolle Schmetterlinge zu verwandeln vermögen. Und das Illuminöse, das Lichtvolle, das aus den Werken strahlt, bildet dabei die „Schrift“ der Bilder, die selbst zu ihrer Autogenese geworden ist. Mit Licht malen: 1760 beschreibt der französische Schriftsteller Charles-Francois Tiphaigne de la Roche in seinem Roman „Giphantie oder die Erdbeschreibung“, wie Lichtstrahlen Bilder malen können. In seiner visionären Sicht beschreibt er das Vermögen der Lichtmalerei, indem die Reflexion der Lichtstrahlen von Gegenständen auf einer vorbereiteten Leinwand mit „viskosen Eigenschaften“ diese das reflektierte Objekt festhalten. Siebzig Jahre später gelang es William Henry Fox Talbot parallel zur Erfindung der Daguerreotypie, erstmals photogenische Zeichnungen zu realisieren, bei der Objekte direkt mit photosensiblem Material auf einem Bildträger fixiert werden konnten. In faszinierender Weise konnten sich Gegenstände quasi von alleine, wie durch Geisterhand, selbst abbilden, ohne menschliches Zutun. Die ersten derartigen Lichtzeichnungen, eben Photo-Graphien, zeigen botanische Objekte und sind gewissermaßen Naturselbstabdrucke. Erst-mals in der Geschichte der Bilder wird Natur durch sich selbst dargestellt – als ästhetischer Lichtprozess: Der „Zeichenstift der Natur“ von dem der Romancier Tiphaigne de la Roche phantasierte, ist Wirklichkeit geworden. Für die Licht-Gemälde von Leopold Kogler bildet dies die Grundlage seiner neuen Arbeiten. Lichtempfindliche Emulsionen werden auf Zeichenpapieren aufgebracht, darauf speziell bearbeitete botanische Gegenstände flach aufgelegt und über längere Zeit dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt. Mit dem darauf folgenden Malprozess mit Acryl und Öl er-folgen erste bildnerische Akzentuierungen des Botanischen, worauf wiederum weitere Pflanzenteile gelegt und der Sonne ausgesetzt werden. Durch mehrfache Wiederholungen die-ser Bildprozesse entstehen Farbbildräume von einer luziden Suggestivität, in der die botanischen Elemente zu schweben scheinen. Anders wie bei den Lithografien des Zoologen Ernst Haeckel, der den „Kunstformen von Natur“ vor allem bei verschiedener Strahlentierchen nachspürte oder dem Photographen Karl Bloßfedt mit seinen „Urformen der Kunst“, bei denen er im Botanischen sogar glaubte, Architekturformen etwa der Gotik finden zu können, indem er von „künstlerisch-architektonischem Aufbau“ und von einem „ornamental-rhythmisch schaffenden Urtrieb“ schrieb (und dabei durch Zurechtschnei-den von Pflanzen und deren Vergrößerungen manipulativ dies nachzuweisen versuchte), scheint Leopold Kogler unmittelbar an das Naturphänomen der Photosynthese bildnerisch anzuknüpfen, also an die botanische Energiegewinnung durch Sonnenlicht und den daraus resultierenden chemischen Effekten. Er schafft damit gewissermaßen eine botanische Photosphäre, in der die Pflanzen wie in ein Licht gehüllt erscheinen. Durch die wiederholte Erweiterung der bloßen pflanzlichen Lichtabbildung mittels Malerei wird ein fast kosmischer Raum imaginiert, in dem die botanischen Elemente selbst zu floralen Sonnengebilden werden und manchmal den Eindruck erwecken, es seinen Milchstrassen oder andere ferne leucht-ende Himmelskörper. War in den letzten Jahren in spezifischer Weise die Natur als Landschaft Thema der Malerei von Leopold Kogler, so sind es nun botanische Sujets, die seine Auseinandersetzung mit Natur in neuer Weise zeigt. Die photochemische Erweiterung seiner Malerei ist dabei ebenso ein Schritt in ein neues Terrain wie die daraus entwickelte zunehmende Komplexität des Bildnerischen in Form von Bildschichtungen und –überlagerungen. „Ich hoffe, dass es denjenigen, die an der Sache Anteil nehmen, gegenwärtig bleibt, dass ich mit dem, was ich bislang erreicht habe, nicht den Anspruch erhebe, eine Kunst zur Vollendung gebracht zu haben, sondern eine Kunst begonnen zu haben, deren Grenzen man zur Zeit noch nicht mit Sicherheit bestimmen kann“, schreibt Talbot 1939 an die Literary Gazette.1 Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass Leopold Kogler erst die ersten Schritte mit den neuen Lichtarbeiten zu setzten begonnen hat.

1Die Zitate und Hinweise wurden folgenden Publikationen entnommen: Hubertus von Amelunxen: Die aufgehobene Zeit. Die Erfindung der Photographie durch William Henry Fox Talbot, Berlin 1989; Ernst Haeckel, Olaf Breidbach, Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Kunstformen der Natur, München 1998; Konstruktion von Natur. Von Blossfeldt zur Virtualität, hg. von der Akademie der Künste, Berlin 2001; siehe hier auch Carl Aigner: Botanische Phantasmen. Notizen zur fotografischen Formatierung von Pflanzen bei Karl Blossfeldt, S. 47 ff.