Schatten der Wirklichkeit

Johannes Holzmann | Zur Serie „Folia“ von Leopold Kogler

Der Titel „Folia“ spiegelt die motivische Ebene dieser Serie wider, sowohl in seiner Reduktion und Sachlichkeit, als auch in seiner zugleich lyrischen Offenheit: Es sind Blätter unterschiedlichster Pflanzen, die als Silhouetten in ihren natürlichen Umrissen erscheinen. Vielschichtige Überlagerungen und sensible Rhythmisierungen tauchen die naturalistischen, dokumentarischen Darstellungen in eine poetische Atmosphäre. Transparente Schichten und weiche Ränder erzeugen Bewegung und Tiefe und spannen über die Formen eine zeitliche und räumliche Dimension.

Versucht man die technische Entstehung dieser Bilder nachzuempfinden, eröffnet sich die Komplexität des künstlerischen Prozesses, dessen sich Leopold Kogler bedient. Das Motiv wird meist dominiert von einer prägnanten Form, in deren Flächen sich aber die gleichen Umrisse versetzt und in anderen Farbabstufungen wiederholen. Dies weist auf den stufenweisen Aufbau der Ebenen hin, dessen Logik sich durch den Wechsel der Farben einem flüchtigen Erfassen entzieht: Helle Flächen, eingefasst von einem dunklen Hintergrund, erscheinen in dunklen Silhouetten, umgeben von einem hellen Nebel, und umgekehrt. Für die einzelnen Schichten verwendet Kogler verschiedene lichtempfindliche Lackemulsionen, die durch das Licht entweder verblassen oder nachdunkeln. Auf dem beschichteten Bildträger werden anschließend die Blätter angeordnet. Die Belichtung selbst dauert einige Stunden und wird für jede neu arrangierte Schicht wiederholt. Am Ende steht die Fixierung, die den chemischen Prozess stoppt und den Bildentstehungsprozess abschließt.

Leopold Kogler begibt sich in dieser Arbeitsweise als Künstler an eine spezielle Position: Kein unmittelbarer Ausdruck oder Gestus, kein direkter Strich oder Pinselduktus wird im Bild sichtbar. Er erzeugt nicht aktiv malerisch das Bild, sondern steuert gleichsam als Versuchsleiter und Bildregisseur die einzelnen Belichtungsvorgänge. Dieser unmittelbare Entstehungsprozess ist nicht nur eine andere Art der Bilderzeugung, es werden dabei auch wesentliche Aspekte des Bildes an sich zum Ausdruck gebracht: der Bildträger als Projektionsfläche in Raum und Zeit, als Schnittstelle zwischen Entstehungsprozess und Wahrnehmungsvorgang.

Die Funktion des Lichts verleiht hier der zeitlichen Dimension eine besondere Rolle. Die Umrisse zeugen von einer bestimmten Dauer, in der die jeweiligen Blätter auf der Bildfläche in der sichtbaren Position präsent waren. Die einzelnen Schichten dokumentieren darüber hinaus eine zeitliche Abfolge, in der sich die Lage der abzubildenden Form veränderte. Wenn wir die Werke betrachten, ist es wieder das Licht, das die Bildfläche sichtbar macht. Bildentstehung und Bildbetrachtung erscheinen als Ausschnitte der gleichen zeitlichen Kontinuität des Leuchtens, das einmal auf einer offenen Oberfläche Spuren hinterlässt und ein anderes Mal diese Spuren reflektiert und wahrnehmbar macht.

Diese Verbindung wird schließlich in der räumlichen Dimension noch weiter verstärkt. Die Blätter und Zweige erscheinen zwar in der dichten Atmosphäre eines farbigen Bildraums, dennoch bleiben sie verbunden mit der realen Umgebung, in der sich das Bild als Gegenstand und wir uns als Betrachtende befinden. Die Formen sind nicht imaginierte Inhalte eines illusionistischen Bildraums, sondern Spuren, die die dargestellten Objekte an Ort und Stelle hinterlassen haben. Durch das Fehlen einer Linse werden bei diesen malerischen Fotogrammen die Konturen umso mehr zerstreut, je größer der Abstand zwischen Objekt und Projektionsfläche ist. Es entsteht ein räumlicher Eindruck, der aber nicht eine Distanz hinter der Bildfläche sichtbar macht, sondern ein vergangenes dreidimensionales Arrangement davor – die Darstellung ist nicht Teil eines virtuellen Bildraums, sondern der uns umgebenden Welt. Nicht nur die zeitliche, auch die räumliche Dimension von Bild und Betrachtung scheint in diesen Arbeiten ineinander zu fließen.

Leopold Kogler hält in der Serie „Folia“ gleichsam die Schatten der Dinge fest. Ein Faszinosum, das seit den Handnegativen der Höhlenmalerei am Beginn der Kunstgeschichte bis heute dem Bild innewohnt: die zeitlose Vergegenwärtigung einer flüchtigen und sich ständig wandelnden Wirklichkeit.