Space & Landscape

Peter Zawrel

Leopold Kogler | Manfred Wakolbinger

Eröffnungsrede am 14. Mai 2023 in der Blaugelben Galerie in St. Peter in der Au von Peter Zawrel

Eine Ausstellung, in der man sich sofort zurechtfindet und schnell wohlfühlt. Drei Räume, nicht vollgeräumt, alles klar und übersichtlich. Farbige Bilder an den Wänden, im Vergleich zu ihnen nüchtern wirkende Formen im Raum, Metall, Glas und, nein, kein Beton, sondern Spachtelputz, der aussieht wie Beton. Drehende Spiegel, eine kinetische Plastik, die den Raum erweitert, ihn in Bewegung versetzt, unseren Blick beschleunigt. Nicht zuletzt ein reizvoller Gegensatz zwischen der historischen Einrichtung, einem spektakulären Renaissance-Ofen und den Lustern, und den zeitgenössischen Kunstwerken.

Auch der Dialog, den diese Werke miteinander führen, lässt sich ohne großes Vorwissen und ausführliche Kommentare erfassen. Der Titel der Ausstellung benennt ihn: Space and Landscape, Raum und Landschaft. Das Schöne am englischen Titel ist das Anagramm, das sich in ihm verbirgt. „space“ und „scape“ bestehen aus denselben Buchstaben, man braucht sie nur in einer Art Krebsgang miteinander zu vertauschen. Das Englische macht es uns leichter als das Deutsche, die Zusammenhänge zu erkennen. Und diese Zusammenhänge sind tiefgründig.

Dreidimensionale Plastiken (der Künstler addiert Elemente, um zur gültigen Form zu gelangen) und Skulpturen (der Künstler subtrahiert Elemente, nimmt etwas vom Material weg, um zur gültigen Form zu gelangen) stehen im denkbar größten Gegensatz zur zweidimensionalen Malerei. Der Maler macht uns ein Bild von der Welt, und seit der Romantik – als die Künstler als Antwort auf die von der Aufklärung propagierte Vernunft ihre eigenen Innenwelten erforschten und damit die nicht immer vernünftige Subjektivität des Menschen entdeckten – immer mehr ein Bild von seiner Welt, von den Gefühlen und Stimmungen des Künstlers, die wir teilen können oder auch nicht; das heißt, wir können Stellung beziehen. Das Bild trifft uns, oder es trifft uns nicht. Das Gefallen des Betrachters misst sich nicht mehr an einem absoluten Maßstab, sondern an seinem subjektiven Erleben. Damit war die Entdeckung der Landschaft als selbständiges Sujet der Malerei ermöglicht.

Der Bildhauer dagegen – egal ob er plastisch oder skulptural arbeitet – macht uns immer ein Bild vom Menschen, von uns selbst. Denn die skulpturalen Werke – mir gefällt dieser Begriff einfach besser als der von den „Plastiken“ – greifen sich den Raum, in dem sie sich befinden, sie schaffen sich Raum, sie verändern ihn, so wie der Mensch selbst sich seit eh und je den Raum „erobert“; was man heute aber nicht mehr sagen kann, ohne zu bedenken, dass diese Eroberung in der Geschichte letztendlich zu nichts Gutem geführt hat. Der Preis dafür war hoch.

Wenn wir unseren Blick prüfen, werden wir feststellen, dass wir immer, wenn etwas am Boden steht, oder auf einem Sockel, wenn wir also etwas Vertikales wahrnehmen, wir an uns selbst, an den aufrecht stehenden und gehenden Menschen denken. So wie Kinder immer schon ihre „Strichmanderl“ zeichnen, haben auch die Steinzeitmenschen in ihren Höhlenzeichnungen den Menschen als senkrechten Strich mit wenigen Verzweigungen dargestellt. Wenn wir ein Strichmännchen auf den Kopf stellen, sehen wir einen Baum, und wir sehen uns ja auch gerne dastehen „wie ein Baum“. Die Vertikale, das ist die Verbindung zwischen Erde und Kosmos, zwischen unserer Endlichkeit und der Unendlichkeit des Raumes. Tatsächlich heißt „space“ im Englischen ja auch „Weltall“.

Die Skulptur ist seit eh und je ein Mittel, „wo anders hin“ zu gelangen, den Menschen zu erhöhen in eine andere Sphäre. An sich selbst und an der Reflexion des Bildes von sich selbst scheinen Bildhauer immer schon weniger interessiert gewesen zu sein als Maler. Das Selbstporträt spielt in der Geschichte der „Bildnerei“, wie man die Bildhauerei früher genannt hat, keine große Rolle. Außer dem Selbstbildnis des Meisters Pilgram im Sockel der Kanzel in St. Stephan in Wien und einer Selbstporträtbüste von Käthe Kollwitz fällt mir nicht viel ein.

In der Malerei spielt die Vertikale dagegen eine geringe Rolle, die Horizontale eine gewaltige. Denn sie definiert, wie der Name sagt, den Horizont, die Grenze unseres Sehens, wo Himmel und Erde aufeinandertreffen. Zwischen uns und diesem imaginären, sich stets verschiebenden Dort spannt sich das auf, was wir Landschaft nennen, diese unendliche Projektionsfläche unserer Sehnsüchte und unserer Ängste, dieses Aktionsfeld unserer Zerstörungswut und unserer Verschandelungslust und immer mehr auch unserer immer hoffnungsloseren Suche nach der unberührten Natur, der Wildnis, der Schönheit.

Leopold Kogler und Manfred Wakolbinger haben in dieser kleinen, auf das Wesentliche konzentrierten Ausstellung das alles in einen Dialog miteinander gebracht, wofür sie keinen Kurator und kein theoretisches Konstrukt gebraucht haben. Ich vermute, das ist Ihnen deswegen so sichtbar leichtgefallen, weil es – bei aller Verschiedenheit der Werke – viele Gemeinsamkeiten gibt; den gemeinsamen Erfahrungshorizont der Gleichaltrigkeit und der Herkunft aus benachbarten Gegenden, dem Machland nördlich der Donau und dem gegenüberliegenden Mostviertel südlich des Flusses, aber auch den der Umwege zur Kunst, die beide eingeschlagen haben.

Kogler war zuerst gelernter Tischler und hat als technischer Zeichner gearbeitet, bevor er als Kunststudent in Wien die Matura nachgeholt und noch vieles andere studiert und auch abgeschlossen hat. Wakolbinger war zuerst gelernter Werkzeugmacher und hat als Industriemonteur gearbeitet, bevor er – über die Zusammenarbeit mit seiner Frau, der Schmuckdesignerin Anna Heindl – den Weg zum freien Kunstschaffen und an die Angewandte in Wien eingeschlagen hat, wo die beiden einander in den Lehrveranstaltungen des Kunsttheoretikers und „Künstlers ohne Kunst“ Bazon Brock erstmals begegnet sind. Philosophisches Denken wurde für beide unverzichtbar.

Während sich Kogler in den achtziger Jahren vielen Dingen widmete, gelang Wakolbinger eine Karriere, die man im Rückblick nur als rasant bezeichnen kann. Schon 1987 bei der documenta in Kassel, ein paar Jahre später bei der Kunstbiennale in Venedig; bis die beiden einander zufällig am Flughafen von Brisbane wieder begegneten, der eine, Kogler, am Weg zu einem Sammler, der andere am Weg zu einem Tauchgang. Aus dem tiefen Tauchen im Schwarzwasser der Nacht sollte sich ein wichtiges, fotografisches Kapitel im künstlerischen Schaffen von Wakolbinger entwickeln.

Die fünf Objekte in den drei Räumen geben einen fokussierten Einblick in Wakolbingers Werk der letzten 40 Jahre. Die „Zungen“ verweisen mit ihren Materialien Spachtelputz und Kupfer zurück an die Anfänge in den achtziger Jahren, aber auch an die „Placements“ der Nullerjahre, die sich quasi als Möbel benutzen lassen. Wenn man sich die „Zungen“ vergrößert vorstellt, könnte man sich in diese Formen auch, sitzend oder liegend, hinein schmiegen. Die Zunge ist ja nicht nur ein Organ, das wir zum Sprechen, Essen und für vieles andere brauchen, sondern wir verbinden die Vorstellung davon, dass sie in der Mundhöhle „wohnt“, ja auch mit dem Gefühl von Geborgenheit. Es gibt Fische, die ihre Jungen unter der Zunge behüten.

Zu den sogenannten „Circulations“, denen die Plastik im Mittelraum angehört, hat sich Wakolbinger von den barocken Skulpturen inspirieren lassen, die sich in der Capella San Severo in Neapel in den Raum schrauben und drehen. Auch dieses Stahlrohr ist eine solche „Figura serpentinata“. In monumentale Dimensionen vergrößert, lassen sich damit Freiräume gestalten. Die Spiegel schließlich kehren gleichsam frühe Plastiken des Künstlers um, wo das Innere der Spachtelgipsformen mit spiegelndem Kupfer ausgekleidet war; später polierte er Teile von Stahlflächen, bis sie spiegelten, so wie jene des Sockels der „Circulation“ im Mittelraum.

Diese Spiegelungen erweitern den Dialog der Farben und Formen zwischen Malerei und Skulptur um jenen mit dem Raum selbst und lassen uns die Ausstellung als ein Gesamtkunstwerk erscheinen.

Leopold Kogler hat seinen Blick in einer gestischen Anfangsphase – aus der sich die Expressivität des Pinselstrichs erhalten hat – noch stark auf sich selbst gerichtet und später, über die Jahrzehnte hinweg, in denen die vertiefte Befassung mit der Natur, vor allem auch mit der Pflanzenwelt, eine große Rolle gespielt haben, aus einer Nahsicht der Dinge zu einer Fernsicht auf die Welt gewendet. Mit diesem Blick öffnet er uns den Landschaftsraum als einen Empfindungsraum. Die über- und ineinander geschichteten intensiven Farben scheinen keinen Bezug mehr zu einem real gesehenen zu haben, sie eröffnen uns eigene, wie von Licht durchflutete Farbräume, an denen wir uns nicht satt sehen können.

Wir wissen, dass die Natur das auch kann, aber flüchtig nur, und kaum schiebt sich eine Wolke vor die Sonne, sind Licht und Farben dahin. Der sich dauernd verändernden Wirklichkeit kann der Mensch nur mit der Kunst entgegenhalten, die erst eine vertiefende Beschäftigung mit den wechselhaften Phänomenen ermöglicht, die uns umgeben. Als ich gestern Abend von St. Michael, diesem Aussichtsbalkon über St. Peter, über die vor mir ausgebreitete Landschaft blickte, wurde mir klar, dass die Malerei von Leopold Kogler so offensichtlich romantisch wie auch verborgen naturalistisch ist.

Zu dem Dialog von Kogler und Wakolbinger, von Plastik und Malerei, von Mensch und Raum gesellt sich in den Ausstellungsräumen der Blaugelben Galerie im Schloss von St. Peter in der Au noch etwas besonderes hinzu, das ist die Natur selbst, das grüne Laub der Baumkronen, die vor den großen Fenstern wogen. Das ist so besonders, weil es fast keine Ausstellungsräume mit Tageslicht spendenden Fenstern mehr gibt. Der „White Cube“ mit seinen immer gleichen Lichtverhältnissen hat gesiegt, aber nicht alles, was Konservatoren und Kuratoren freut, freut den Betrachter und tut der Kunst gut. Sich im Tagesverlauf ändernde Lichtverhältnisse zeigen uns die Werke immer anders und neu. Das Grün in den Fenstern grundiert quasi die Ausstellung, nicht nur die Farben Leopold Koglers, sondern auch die Formen Manfred Wakolbingers. Etwas Besseres kann beiden nicht passieren.